Marcel Krüger

Ein Tag in Vietnam

22. Jan. 2014

Herzlich(?) Willkommen

Am Tan-Son-Nhat, dem Flughafen in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, angekommen bin ich erst etwas ratlos. Da ich die 13 Stunden Aufenthalt nicht im Flughafen sitzen wollte, der auf Google desaströse Bewertungen sammelt, habe ich mich im Vorfeld dazu einschlossen ein Visum für Vietnam über myvietnamvisa.com zu organisieren. Ich habe natürlich keinen Plan wo ich das Visum abholen soll, vielleicht hätte ich die E-mails, die mir myvietnamvisa geschickt hat, nicht nur überfliegen sollen. Schnell finde ich dann aber das kleine Kabuff, wo sich jede Menge Leute mit dem gleichen Ziel wie ich sammeln.

Trottel wie ich bin, habe ich die nötigen 45 US$ nicht parat. Dieser Person gewordenen schlechten Laune (wie in den Google-Bewertungen zu lesen) am Schalter sage ich, dass ich schaue wo ich das Geld her bekomme und frage den nächsten Flughafenangestellten, ob er weiß, wo ich einem Geldautomaten finde. Er schaut mich kurz an, läuft los und ich denke: "Prima, kann ja nichts mehr schief gehen". Er sieht unsere Beziehung anders, nämlich gar nicht, und läuft geradewegs zu seinen Kollegen und lässt mich stehen. Danke auch.

Nach nochmaligem Umschauen finde ich einen Geldautomaten. Dieser steht direkt neben dem Visums-Schalter und scheint für Leute wie mich geradezu gemacht zu sein. Bei genauerer Betrachtung fällt jdeoch auf, dass dieser keine Visa-Karte akzeptiert. Option Geldautomat ist damit gestorben. Zurück vor dem Schalter frage ich zwei Frauen, die die nötige Gebühr gerade aus einem Umschlag zücken, ich sah, dass noch einige Dollar in ihren Umschlägen sind, aber sie sagen sie hätten nichts mehr für mich übrig. Glücklicherweise hat eine andere Frau das mitbekommen und mir bereitwillig Euro in die nötigen US$ getauscht.

Also dann, wieder zu dem Sonnenschein von Visumsbeamten, Visum geholt und nichts wie weg hier. Schnell noch Geld aus den vor dem Flughafen stehenden Automaten geholt (fun fact: 1 € ist umgerechnet ca 30.000 Vietnamesische đồng) und eine Karte der Stadt organisiert. Kaum vor dem Flughafen, werde ich von einer Taxifrau angesprochen, die mich an ein Taxi in die Stadt vermitteln will. Ich nehme das Angebot an. Los geht's.

Die Stadt

Erst ein mal bin ich platt von den vielen neuen Eindrücken. Die vielen Rollerfahrer — Ein bisschen wie motorisierte Ameisen — das Durcheinander, die gefühlte 100 % Luftfeuchtigkeit, die Flora, die Menschen, alles ist anders.

Rollerfahrer

Am Wiedervereinigungspalast angekommen — dieser gilt hier wohl als eine Sehenswürdigkeit, ich fand ihn eher unhübsch, er erinnert mehr an einen Plattenbau, als an einen Palast — gehe ich auf eigene Faust los. Eigentlich wollte ich zum Bến Thành Market, eine typische Touri-Sehenswürdigkeit, der Stadtplan erwies sich jedoch als wenig nützlich, da er mir nicht ganz akkurat erscheint. Also laufe ich los in eine Richtung die ungefähr passen sollte, was soll's, ich habe ja Zeit. Zwischenzeitlich spricht mich ein freundlicher vietnamesischer Schüler oder Student an. Ich versuche mich mit ihm zu unterhalten und wir können einige Brocken an Informationen austauschen, oft aber lächelt und nickt er einfach, wenn ich eine Frage stelle.

Ich kann ihm nach einer Weile (glaube ich) verständlich machen wo ich hin will und wir laufen gemeinsam los. Auf unserem Weg werde ich dann von einem Rollerfahrer angesprochen, ob ich eine Rollertour machen will. Nach einer kurzen Diskussion über die Konditionen und Überzeugungsarbeit seinerseits stimme ich zu.

Mein Fahrer Mein Fahrer

Er bringt mich zuerst zum Bến Thành Market. Es ist stickig und riecht komisch in dieser Markthalle voll Süßigkeiten, Elektronik, gefälschten T-Shirts, Taschen, Schuhen und allem, was man nicht braucht. Trotzdem finde ich es spannend, wie hier alles von statten geht. Mir fällt auf, wie viele Verkäuferinnen hier vor ihrem Stand, auf Hockern sitzend, gemütlich ihr Mittagessen verspeisen. Die mehrheitlich weiblichen Verkäuferinnen wollen mir ihre Waren schmackhaft machen bzw. viel mehr andrehen. Ich bin schnell genervt alle Angebote ablehnen zu müssen, anstatt einfach in Ruhe gelassen zu werden.

Schwierige Entscheidung Schwierige Entscheidung

Aus dem bunten Gewusel und Gedränge raus, wartet mein Fahrer bereits auf mich. Ich hatte ja meine Bedenken, ob er mich nicht einfach irgendwann stehen lässt, aber er blieb mir treu.

Weiter geht es zum War-Museum. Eigentlich will ich da gar nicht hin, aber mein Fahrer lässt meine Zweifel nicht gelten. Dort angekommen schaue ich erstaunt zu, wie die Mehrzahl der Asiaten dort wahnsinnig auf die dort ausgestellten Waffen (Panzer, Hubschrauber, Jets, …) abfahren. Jeder lässt sich vor den Panzern und Flugzeugen fotografieren oder macht ein Bild von den Kindern. Seltsam, schlussendlich ist das Kriegsgerät, hergestellt um Leben zu nehmen. Abgesehen von den ausgestellten Waffen aller Art, schaue ich mir noch die Ausstellungen im Inneren des Museums an. 100% aufnahmenfähig bin ich nach der langen Reise und bei der Hitze nicht, was mir jedoch auffällt ist die recht einseitige Berichterstattung zu Gunsten der Vietnamesen.

Nächste Halt ist der Jade-Tempel. Auch eine typische Touristen-Attraktion nehme ich an. Nichtsdestotrotz schön anzusehen. Besonders verrückt sind die gefühlten 500 Wasserschildkröten in einem viel zu kleinen "Teich". Was ich immer beobachte und erstaunlich finde, ist wie religiös die Einheimischen sind. Es gibt keinen Moment, an dem nicht vor dem Buddha gebetet wird oder Räucherstäbchen bzw. Kerzen entzündet werden. Auch lustig: falls es der Räucherstäbchens Rauch zu viel wird, wird der Riesenlüfter im oberen Bildrand angeschaltet um der Lage Herr zu werden.

Je länger wir unterwegs sind, desto öfter frage ich mich, ob das mit den umgerechnet ca. 7€ für die ganze Fahrt stimmen kann. Aber dazu später mehr.

Jade Tempel Der Jade Tempel

Der geplante nächste Halt meines Fahrers sind die Tunnel von Cú Chi. Ich denke mir nichts dabei und wir fahren los. Und fahren und fahren.

Nach einer Weile auf dem Roller frage ich, wie es denn mit essen aussieht, worauf er antwortet, ich solle mir keine Sorgen machen, er "kennt da was". Aus Angst um meinen zarten deutschen Magen habe mir vorgenommen ausschließlich was Frittiertes aus dem Wok zu essen, aber es sollte anders kommen.

Wir halten schließlich an einem von ihm ausgewählten "Restaurant" (viel mehr ein Straßenverkauf mit Stühlen und Tischen) an und er bestellt was er meint was gut für mich sei. So viel zu frittiert aus dem Wok. Er bestellt eine Suppe mit Hühnchen — zumindest so weit ich die Situation in der Schale entziffern kann. Die Suppe ist nicht schlecht, aber so richtig genießen kann ich sie, angesichts des Zustandes der "Küche", nicht. Bei dem von ihm bestellten Eistee mit Eiswürfeln tue ich so, als würde ich einen Schluck trinken und mir schmecke es nicht. Was mir in der Situation im Kopf herum ging war, dass ich noch ca. 12 Stunden unterwegs bin, davon 8 im Flugzeug und ich die nicht, dank Salmonellen, auf der Toilette verbringen will. Schade, dass ich kein Foto von der Küche gemacht habe, da hätte sich jeder deutsche Lebensmittelkontrolleur gefreut.

Mitagessen Mitagessen auf Vietnamesisch. Suppe mit Hühnchen und Sprossen. Dazu gibt es Eistee.

Fertig mit der Suppe steigen wir wieder auf das Moped und weiter geht die Fahrt. Die Umgebung wird immer ländlicher und wir sind schon eine gefühlte Ewigkeit unterwegs. Ich frage, wie lange die Fahrt denn dauert, er antwortet entspannt: "So eine Stunde" … Ähm … was? Das war so natürlich nicht geplant. Er sagt es wären noch ca. 20 Minuten bis zu unserem Ziel. Nach 10 Minuten frage ich erneut, wie lang es noch ungefähr dauert und es sind seltsamerweise immer noch 20 Minuten.

Mittlerweile fahren wir über Land und in ein anderes Dorf. Mir ist das alles ganz und gar nicht mehr geheuer und ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch. Ich denke die ganze Zeit nur, dass das der perfekte Plot für einen Film wäre: Naiver deutscher Tourist, kann sich mit niemandem außer seinem Fahrer verständigen, wird entführt und von Einheimischen zum Abendessen eingekocht.

Ich weiß noch nicht genau wie ich meinem Fahrer beibringen soll, dass ich wieder umkehren möchte. Würde er mich einfach stehen lassen, würde ich alt ausgesehen, es spricht dort wirklich kein Mensch englisch.

Ich raffe mich endlich auf und versuche ihm beizubringen, dass ich zurück in die Stadt möchte. Nach einigen Versuchen mich vom Gegenteil zu überzeugen, nimmt er es doch ganz gelassen auf und wir kehren um. Puh, mir fällt ein kleiner Stein vom Herzen.

Auf dem Rückweg machen wir noch kurz Halt bei einem in Vietnam angeblich sehr typischen "Rastplatz" am Straßenrand. Hier können sich die müden Mitbürger bei einem eisgekühlten Getränk erholen oder auf einer der zahlreichen Hängematten ein Nickerchen machen. Ich werde von seinen Kumpels, die den Rastplatz betreiben als der gut aussehende Ausländer bezeichnet. Check! (OK zugegeben, von Männern mittleren Alters als gut aussehend bezeichnet zu werden … hm)

Rasthof auf Vietnamesisch Rasthof auf Vietnamesisch

Zurück in der Stadt machen wir halt beim Hong Kong Market. Im Endeffekt zeigt sich das gleiche Bild wie auf dem Bến Thành Market. Es gibt den gleichen Kram wie dort auch, jedoch, so mein Fahrer, sei der Markt nicht so touristenorientiert. Ich halte mich nur kurz dort auf, schlendere durch die Gassen, beobachte die Menschen und gehe anschließend wieder in Richtung meines Fahrers. Nach nun gut 5 Stunden Rollerfahrt hab ich auch langsam keine Lust mehr und bin doch recht erschöpft. Ich sage meinem Fahrer, dass er mich doch bitte zum Flughafen bringen soll. Er hat mir zwar noch einige Plätzchen zeigen wollen, willigt aber ein.

Anderer Markt, gleicher Ramsch Anderer Markt, gleicher Ramsch

Das dicke Ende

Kurz vor dem Flughafen setzt mich mein, bis dahin immer gut aufgelegter Fahrer, an einem Geldautomaten ab. Er wolle das mit der Bezahlung jetzt machen, bevor ich ihn noch verarsche. Mich beschleicht das Gefühl, dass jetzt irgendetwas Komisches kommt und ich sollte recht behalten.

Er rechnet mir vor, dass wir 6 Stunden unterwegs waren und ich ihm 1.8 Mio. đồng schulde. Aha, also doch nicht die 200.000, wie es am Anfang besprochen war. Ich fragte, wie das denn zustande käme, ich hätte doch am Anfang klar gefragt, ob in den 200.000 alles inklusive ist. Er zückt daraufhin einen Zettel auf dem unten, in kleiner Schrift 200.000 đồng/h stand. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns am Anfang auf 200.000 "All-Inkl." geeinigt haben, gebe ihm aber das Geld ohne groß zu verhandeln, was mich im Nachhinein ein bisschen ärgert. Mein Hintergedanke ist, dass wenn er die Polizei (oder wen auch immer) ruft, im Zweifelsfalle keine Möglichkeit habe mich zu erklären und ich damit der Schuldige bin. Ich fühle mich schwer verarscht, die ganzen Erlebnisse des ereignisreichen Tages werden dadurch, zumindest für den ersten Moment, überschattet.

Am Flughafen bleibt mir nichts anderes, als auf meinen Flug nach Sydney zu warten. Ich bin erschöpft und etwas deprimiert, freute mich aber auch schon auf die Stadt, die ich, seit dem ich mit meinen Eltern dort war, nie vergessen konnte.